Architektur ohne Rampenlicht Gehört der sozialen Architektur die Zukunft? (AFA-Ausgabe 1/2014)

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Große Architektennamen, exaltierte Bauformen, exponierte Standorte. Prestige, Öffentlichkeit und nicht zuletzt Geld. Sehr viel Geld. Attribute, die einen Bau ins Rampenlicht befördern. In diesem Licht werden Bauprojekte gefeiert, verrissen oder gar skandalisiert. Inwieweit dies jeweils berechtigt ist oder auch nicht, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden.

Stattdessen widmen wir uns einmal der Frage, wie es um die Architektur abseits der öffentlichen Bühnen steht. Genauer, wie es um soziale Architektur bestellt ist.
Was ist überhaupt unter sozialer Architektur zu verstehen? Interagiert nicht jede Form architektonischen Ausdrucks mit gesellschaftlichen Aspekten und Symptomen? Was ist das Besondere an sozialer Architektur und welche Bedeutung hat sie für die Zukunft?
Das Schlagwort des sozialen Wohnungsbaus beispielsweise weckt auf den ersten Zuruf nicht zwangsläufig positive Assoziationen. Mittellosigkeit, sowohl von Städten, Bund und Ländern als auch kennzeichnend für die Bewohner dieser Wohnformen, dürfte ein erster Gedanke zum Thema sein. Weitere Konnotationen sind Notdürftigkeit, Lieblosigkeit, d.h. durch Finanzierungsdefizite und nicht durch ästhetischen Anspruch bedingter Reduktionismus in der baulichen Gestaltung.
Nicht zuletzt die Verbannung sozialer Bau-/Wohnprojekte in städtische Randzonen als in Beton manifestierte Ausgrenzung sozialer Gruppen. Und hiermit wären wir am wichtigsten Punkt bezüglich der Frage, ob der sozialen Architektur die Zukunft gehört. Innerhalb welcher Prozesse befinden wir uns derzeit und was wäre erforderlich oder zumindest wünschenswert für die Zukunft?

Der Stadtsoziologe Jens S. Dangschat führt in seinem Essay „Architektur und soziale Selektivität“ (APUZ 25/2009) wichtige Aspekte zum Thema an und stellt die These auf, das postmoderne Architektur zunehmend instrumentalisiert wird, um partikularen Interessen zu dienen. Um welche Interessen es hier laut Dangschat u.a. geht soll im Folgenden kurz angerissen werden:

1. Sozialer Wandel und Identifikation mit dem Wohnort
Die Gestaltung des öffentlichen Raumes geht einher mit sozialer Positionierung. Im Zuge eines immer schneller fortschreitenden sozialen Wandels „nimmt die Möglichkeit, sich mit dem jeweiligen (Wohn-)Ort identifizieren zu können, deutlich zu (auf der regionalen Ebene, der Gemeinde, des Stadtteils und Kiezes) und wird für immobile Gruppen sogar zur Notwendigkeit. In dieser Situation wird eine Zuspitzung der Auseinandersetzung um die kulturelle Hoheit – gegenüber Fremden, die Menschen mit Zuwanderungshintergrund sein können ebenso wie Bourgeois Bohemians (BoBos) -, um neue Einrichtungen des Einzelhandels und der Gastronomie, aber auch neue Architektur resp. städtebauliche Gestaltung des öffentlichen Raumes zu einem wesentlichen Element der Identifikation mit dem Ort.“

2. Architektur als Standortfaktor
Erinnern wir uns an den Bilbao-Effekt, die gezielte Aufwertung von Orten durch spektakuläre, teils provokative Architektur. Hiermit soll das Interesse von Investoren und zahlungskräftigem Publikum geweckt werden, um strukturschwache Gebiete aufzuwerten und die wirtschaftlichen Bedingungen in der jeweiligen Region zu verbessern. Die Frage ist, dient diese Entwicklung einigen wenigen oder wird hier tatsächlich einem utilitaristischen Anspruch Genüge getan zum Nutzen der Allgemeinheit?
Fakt ist, diese Form der Rampenlicht-Architektur ist Mittel zum Zweck: „Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Wettbewerbs von Städten und Stadtregionen um Wirtschaftswachstum, Auslands-Direktinvestitionen, Positionen in “rankings”, TouristInnen und um die Identifikation der BürgerInnen mit ihrem Wohnort werden Architektur und Städtebau (des öffentlichen Raumes) zunehmend lediglich als Standortfaktor genutzt – eine neue Variation der Nutzung von Architektur zu Zwecken der Sicherung von Herrschaft und Macht.“

3. Inklusion vs. Exklusion
Bei diesem Punkt stellt sich vielleicht nicht zuerst die Frage, ob soziale Architektur die Zukunft ist, sondern viel grundlegender, in was für einer Gesellschaft wir zukünftig eigentlich leben wollen. Architektur erschafft oder löst selbstredend nicht sämtliche soziale Probleme. Hier sind zunächst Politik, Wirtschaft, Recht und Bildung gefordert.
Aber Architektur ist EIN Werkzeug um soziales Leben und Erleben zu gestalten. Insbesondere im großstädtischen Raum ist zunehmende Segregation unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu beobachten, Schlagwort Gentrifikation. Die Entmischung sozialer Gruppen erfolgt in Abhängigkeit von Wohnverhältnissen und städtebaulichen Umgebungsfaktoren.

Steigende Wohnpreise bedingen die Abwanderung ärmerer oder sozial unerwünschter Bevölkerungsgruppen, der Zuzug wohlhabenderer Gruppen wird gefördert, das Angebot durch neu entstehende hochwertige Architektur in präferierten Innenstadtlagen und sogenannten Szenevierteln erweitert. Doch nicht allein wirtschaftliches Potenzial ist entscheidend für diese Prozesse. Wesentlich sind auch Ästhetik und Symbolkraft eines Standortes: „Nicht nur Kaufpreis und Mieten sowie das Preisniveau der Waren machen diese Orte nur für einen Teil der StadtbewohnerInnen zugänglich, sondern auch die architektonischen Formen und gewählten Materialien. Der “teure” Eindruck führt dazu, dass diese Orte von vielen sozialen Gruppen gemieden werden (…)“ Dies bedeutet, dass sozial unerwünschte Gruppen nicht nur aus ihren Lebensräumen entfernt werden, sondern dass innerhalb dieser Gruppen selbst eine zunehmende Identifizierung mit der eigenen sozialen Außenseiterrolle stattfindet. Durch die räumliche Verlagerung werden die Probleme nicht gelöst, sondern im Gegenteil verschärft, der Weg zur Entstehung von Parallelgesellschaften wird geebnet.

Die Homogenisierung von Wohn- und Lebensräumen und damit ihrer Bewohnerstruktur darf daher nicht zur Prämisse architektonischer und städtebaulicher Planung werden. Eine soziale Architektur muss sich tatsächlichen, nicht an von einzelnen Interessengruppen idealisierten oder sogar ideologisierten gesellschaftlichen Verhältnissen stellen. Sie sollte sozial integrativ wirken und sich nicht politisch oder ökonomisch instrumentalisieren lassen.

Zusammenfassend: Architektur besitzt eine ethische Dimension, die in einer sozialen Architektur mehr denn je für die Zukunft zu berücksichtigen ist. Diese Forderung ist nicht neu, das Bewusstsein für eine Architekturethik wächst, zeigen die folgenden Beispiele:

Less Aesthetics, More Ethics, so lautete bereits im Jahr 2000 das Motto der Architekturbiennale in Venedig. Im Mittelpunkt stand hierbei eine 360 Grad Perspektive auf die moderne Großstadt des 21. Jahrhunderts. Massimiliano Fuksas, künstlerischer Leiter der Abteilung Architektur dieser Biennale, widmete sich mit diesem Konzept den ethischen Fragen des Bauens und nicht wie üblicherweise rein ästhetischen Aspekten. Er hob hierzu drei Hauptthemen hervor: Die Umwelt als Subjekt und Objekt des Denkens, die Technologie, d.h. Information, Virtualität und Kommunikation sowie die Anforderungen sich im Wandel befindlicher globaler Gesellschaftsstrukturen.

Die globale Dimension sozialer Architektur zeigte der deutsche Kurator und Architekturhistoriker Andres Lepik 2010 mit der Ausstellung Small Scale, Big Change: New Architectures of Social Engagement im Museum of Modern Art in New York. Vorgestellt wurden elf Projekte auf fünf Kontinenten. Ziel dieser Projekte war es, mit geringstmöglichem finanziellen Aufwand und einem Höchstmaß an Pragmatismus die Lebensbedingungen der Bewohner vor Ort zu verbessern. Hierzu gehörten unter anderem die METIschool in Bangladesch, von lokalen Handwerkern und mit vor Ort vorhandenen Materialien wie Bambus und Lehm realisiert. Für den Entwurf zeichnet Architektin Anna Heringer verantwortlich. Leitbild für ihre Arbeit ist die Verknüpfung von Architektur und Identität: „Wir sind davon überzeugt, dass Architektur mehr ist, als das Befriedigen der Bedürfnisse nach Schutz und Geborgenheit. Für uns ist Architektur eng verknüpft mit dem Schaffen von Identität und Selbstvertrauen. Und gerade dies ist die Basis jeder nachhaltigen und zukunftsfähigen Entwicklung.“

2013 kuratierte Lepik die Ausstellung Think global, build social! – Bauen für eine bessere Welt in Frankfurt. Im Blickpunkt auch hier die gesellschaftliche Bedeutung von Architektur. Insbesondere ging es um Partizipation, Kultur, Wohnen, Material und Design-Build Programme. Das Rampenlicht fiel diesmal auf ökologisch und sozial verträgliches Bauen am Beispiel realisierter Projekte.

Zurecht, denn festzuhalten ist, alle diese ethisch motivierten Ansätze gelten für Bangladesch ebenso wie für Berlin-Neukölln. Soziale Architektur geht weit über Ästhetik und Entwurf hinaus, sie nimmt notwendig soziale Fragen und gesamtgesellschaftliche Entwicklungen in ihren Diskurs auf. Nicht elitär für kleine Interessengruppen, sondern für den Großteil der globalen Bevölkerung. Soziale Architektur gehört nicht der Zukunft, sie ist die Zukunft.

Autorin: Claudia Bassier