Wohnen und Arbeiten verbinden – Ein Selbstversuch

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Ein erschrockener, kurzer Blick auf die Küchenuhr, ein entsetzter Aufschrei und der Gedanke an den bevorstehenden Berufsverkehr verwandeln in wenigen Sekunden die gemütliche Frühstücksrunde in einen quirligen Ameisenhaufen. Alle wuseln hektisch durcheinander. Eilig wird der Rest des Brötchens herunter geschlungen und mit dem letzten Schluck Kaffee heruntergespült. Hastig werden Schlüssel, Notizbuch und Brötchendose in die Taschen gestopft um anschließend im Auto festzustellen, dass doch die Hälfte zu Hause geblieben ist. Was in vielen deutschen Familien zum täglichen Wahnsinn gehört, lässt mich heutzutage nur noch wissend schmunzeln. Denn ich gehöre zu den Glücklichen, die Wohnen und Arbeiten miteinander verbinden können.

Als freischaffende Architektin mit einem eigenen Planungsbüro genieße ich mein Frühstück gemütlich in den eigenen vier Wänden um dann entspannt über den Flur wenige Meter weiter zu meinem Arbeitsplatz zu gelangen. Kein Stress, kein Stau und sogar das vergessene Handy auf dem Küchentisch – kein Problem. Auch private Dinge, wie das bestellte Buch vom Briefträger entgegennehmen, während der Mittagspause Wäsche aufhängen oder mal eben den Hund in den Garten schicken, lassen sich wunderbar nebenher erledigen. Doch leider hat eine Medaille bekanntermaßen immer zwei Seiten. So reizvoll der kurze Arbeitsweg zum Einen sein mag, so verheerend kann er werden, wenn man sich nachts von einer Seite auf die Andere wälzt. „Wenn ich schon mal wach bin, könnte ich doch mal eben…“ und ehe man sich versieht sitzt man nachts um drei in seinem Büro und zeichnet Ausführungsdetails. Auch nasskalte Wochenenden bieten sich hervorragend an, stundenlang im Büro zu verschwinden. „Das Wetter war sowieso zum fürchten, da hätten wir eh nichts unternehmen können.“ lautet die schlichte Rechtfertigung. Auch das Sonntagsfrühstück beginnt nicht mehr direkt nach dem Aufstehen. Stattdessen kann man ja den Morgen ohne störende Anrufe prima im Büro verbringen und aufgeschobene E-Mails beantworten oder die lästige Buchhaltung erledigen. Erst wenn ein übermüdeter und genervter Partner kurz vor Mittag nörgelt: „Sollen wir noch Brötchen holen oder willst du direkt Mittagessen?“ klappt man den Laptop und die Bürotür hinter sich zu. Dabei hätte man noch so viel schaffen können…
Wenn man Arbeiten und Wohnen miteinander kombinieren möchte, sollte man sich im Klaren sein, dass eine Verbindung immer von zwei Seiten funktioniert. Verbindung und Trennung beider Bereiche sind dabei unabdingbar. Das kann vor allen Dingen über eine klare räumliche Trennung erfolgen. Ein kleiner Schreibtisch, der in einem belebten Wohnzimmer steht mag zum Surfen im Internet durchaus seine Berechtigung haben, wird als ernstzunehmender Arbeitsplatz jedoch wenig Erfolg haben. Steht derselbe Schreibtisch aber in einem extra dafür vorgesehenen Arbeitszimmer, bei dem man bei Lärm und Trubel auch mal die Tür hinter sich zu machen kann, bietet dieser Arbeitsplatz durchaus mehr Potenzial. Auch die Größe eines Arbeitszimmers ist nicht entscheidend. Sie sollte jedoch auf die Tätigkeit abgestimmt sein. Ein Schriftsteller hat mit Sicherheit einen anderen Platzbedarf für seine Arbeitsmittel als ein Fotograf. Denkt man also ernsthaft darüber nach Wohnen und Arbeiten miteinander zu verbinden, sollte man sich zunächst Gedanken über die eigene Tätigkeit machen, denn nicht jeder Beruf ist auch für die „Heimarbeit“ geeignet. Industriebetriebe oder Werkstätten sind alleine aus baurechtlichen Hintergründen nicht überall zu realisieren. Weniger problematisch ist die Ausübung von Tätigkeiten, die weder großen Lärm, noch Emissionen oder Mengen von Abfällen produzieren. Nach § 13 Baunutzungsverordnung (BauNVO) sind in reinen und allgemeinen Wohngebieten „für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausüben“, Arbeitsräume zulässig. In besonderen Wohngebieten sind sogar ausdrücklich Gebäude dafür erlaubt. Nähere Bestimmungen hierzu regelt in weiteren Fällen, falls vorhanden, der Bebauungsplan. In diesem können bestimmte Nutzungen ausgeschlossen oder ausnahmsweise erlaubt werden. Auch „Läden und nicht störende Handwerksbetriebe, die zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen“ sind gemäß §§ 3 – 4 BauNVO in reinen und allgemeinen Wohngebieten zulässig.
Ist die Machbarkeit geklärt sollte man sich Gedanken über die Strukturierung von Wohn- und Arbeitsbereich machen. Gibt es Angestellte? Müssen Anlieferungen getätigt werden? Lassen sich Arbeitsabläufe mit einem besonderen Grundriss vereinfachen oder optimieren? Je gründlicher eine Bedarfsanlayse der beruflichen Situation gestellt wird, desto genauer kann in einem weiteren Schritt die Vereinbarkeit mit dem privaten Umfeld geklärt werden. Dabei sollte mit allen Beteiligten abgestimmt werden, wie eng der Betrieb mit dem Wohnhaus verbunden sein soll. Sind alle Familienmitglieder in der Firma tätig oder nur ein Einzelner? Wie sehen die Öffnungszeiten aus? Gibt es Publikumsverkehr? Ein kleines Büro ohne Angestellte und mit wenig Publikumsverkehr lässt sich mit Sicherheit über den regulären Eingang erschließen, während ein Einzelhandelsgeschäft bei dem stündlich Leute ein- und ausgehen eine deutliche Belastung für die übrigen Bewohner sein kann.
Sind alle Grundvoraussetzungen geklärt, kann mit der Grundrissplanung begonnen werden. Je früher Sie einen Architekten in Ihre Überlegungen miteinbeziehen, desto mehr profitieren Sie an dieser Stelle von den gewonnenen Erkenntnissen. Gute Architektur bedeutet in erster Linie ein funktionstüchtiges und nutzerfreundliches Bauwerk zu erstellen, was durch seine räumliche Beschaffenheit den Nutzer unterstützt. Gelingt dann noch eine Umsetzung eines effizienten Grundrisses mit einer angemessenen optischen Gestaltung steht der Verbindung von Wohnen und Arbeiten so gut wie nichts mehr im Wege.
Auch die Architektursprache sollte mit dem ausgeübten Beruf zusammenpassen. Ein Zimmermann, der ein Wohnhaus mit Holzfassade bewohnt wirkt deutlich authentischer als ein Zimmermannskollege, der dasselbe Wohnhaus jedoch mit Stahl- / Glas – Konstruktion bewohnt.
Wenn Sie nun konkret mit dem Gedanken spielen Wohnen und Arbeiten miteinander zu verbinden, überlegen Sie sich diesen Schritt gründlich mit allen Beteiligten und lassen Sie sich ausreichend Zeit für eine gründliche Planung. Gerade mit der räumlichen Konstellation steht und fällt der Erfolg dieses Wohnkonzeptes. Schließlich wollen Sie das Wohnen mit dem Arbeiten verbinden und nicht in erster Linie Arbeiten und nebenbei noch Wohnen.
Autorin:  Dipl. – Ing. (FH) Arch. Sarah Zietek