Büroporträt MVRDV

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Was klingt wie ein Label, ist in Wirklichkeit der Name eines sehr erfolgreichen Architekturbüros in Rotterdam. Dahinter die Gründer Winy Maas, Jacob von Rijs und Nathalie de Vries, aus deren Nachnamen sich der Firmenname zusammensetzt. Nach ihrem Studium haben sie für internationale Büros wie etwa OMA unter Rem Koolhaas, Ben van Berkel und Mecanoo gearbeitet. Neben ihrer praktischen Architekturarbeit im Büro sind sie noch in lehrenden Positionen tätig und publizieren.   Derzeit beschäftigt MVRDV etwa 74 Mitarbeiter. Die seit 1991 bestehende Architekturgruppe setzt sich vorwiegend mit der Problematik urbaner Flächennutzung und alternativen Wohnformen der Zukunft auseinander. Ausschlaggebend dafür ist die rasante Zunahme der urbanen Bevölkerungsverdichtung, gerade auch in den Niederlanden. Zählt es doch mit 420 Einwohnern je Quadratkilometer zu den am dichtesten bevölkerten Ländern der Erde. MVRDV hat es sich zur Aufgabe gemacht, innovative Lösungsansätze für ein neues Architekturzeitalter zu finden. Einem Zeitalter der Informationstechnik und Nanotechnologie. Aspekte wie Ökologie, Ökonomie, Soziokultur und Effizienz stehen bei ihrer Arbeit im Vordergrund. Dabei gehen sie sehr pragmatisch vor, indem sie zunächst gründlich die gegebenen Stadtstrukturen und Faktoren analysieren. Anschließend suchen sie nach innovativen Lösungsansätzen, die oft durchaus auch unkonventionell ausfallen. Ihre Entwurfsprinzipien: Stapelung, Addition und Verflechtung. Gesetztes Ziel ist es durch die vertikale Verdichtung bestimmter Nutzungen wie beispielsweise Wohnen mehr Freiraumqualität für die Stadt zu gewinnen. Im Bereich des Wohnens wird viel Wert auf ein differenziertes und individuelles Angebot einerseits sowie auf Flexibilität andererseits gelegt. Die Architektur soll auf verändernde Bedingungen reagieren und sich entsprechend anpassen können.  Aber auch Bereiche zur sozialen Kommunikation und Interaktion werden schwerpunktmäßig in die Planungen miteinbezogen. Die Maßnahmen zur Optimierung urbaner Qualitäten sind teilweise schon fast radikal. Infrastruktur die begraben wird um Freiräume zu generieren, Straßen, die durch Gebäude führen, hängende Garten, Luftschlösser, schwimmende Architektur und Landwirtschaft in Wolkenkratzern. Der Einfluss von Rem Koolhaas und Ben van Berkel scheint nahe liegend.

Das theoretische Projekt ‚Pig City‘ ist wohl eines der imposantesten Arbeiten von MVRDV. Es handelt sich dabei um eine Studie aus den Jahren 2000 und 2001, welche sich mit der Dichte von Landwirtschaft befasst. Die Idee war es Viehzucht  vertikal zu organisieren um  Flächen zur Wohnnutzung zu gewinnen. Betrachtet wurde der Konsum von 80 Milliarden kg pro Jahr an Schweinefleisch. Die Niederlande ist mit 16,5 Mio. Tonnen Hauptexporteur der EU. Das erschreckende dabei ist die Tatsache, dass durch die Nachfrage  ein Verhältnis von 15,2 Mio. Schweinen im Vergleich zu 15,5 Mio. Menschen in den Niederlanden 1999 ermittelt wurde. Zudem erleidet die Fleischindustrie ständig Verluste durch Krankheiten wie Maul- und Klauenseuche oder die Schweinepest. Eine Möglichkeit diese Problematiken zu beheben bestünde darin, die Schweinezucht biologisch und ökologisch umzustellen. Dies hätte zur Folge, dass die Tiere nun mehr zu 100% mit Getreide gefüttert werden müssten. Das würde aber einen Mehrbedarf von etwa 130% Feldfläche bedingen. Nach derzeitigen Produktionsverfahren benötigt ein Schwein 664m² Fläche. Nach einer Umstellung würde es einer Fläche von etwa 1.500 m² bedürfen. Das würde bedeuten, dass 75% der Fläche von den Niederlanden für die Schweinezucht benötigt wird. Um dieser Problematik entgegenzutreten hat MVRDV ein Konzept entwickelt nachdem die Schweinezucht, Fleischproduktion und der dafür nötige Getreideanbau vertikal in einem Gebäude organisiert sind. Das würde Transportkosten verringern, die Ausbreitung von Seuchen vermindern und die zur Zucht benötigte Fläche auf ein Minimum reduzieren. Zudem könnte ein autark funktionierender Dünger Recyceler der Energieerzeugung dienen.

Ein ähnlich visionäres Projekt hat MVRDV tatsächlich realisiert. Der niederländische Pavillon auf der EXPO 2000 in Hannover. Es handelt sich um ein siebengeschossiges Bauwerk mit einer Höhe von 40 Metern und einer Fläche von einem halben Quadratkilometer. Die Ebenen wurden mit sieben für die Niederlande typischen Bodenformationen bepflanzt. Auf dem Dach ist eine künstliche Landschaft mit einem See organisiert. Zusätzlich wurden Windräder installiert. Im 4. Obergeschoss ist ein kleiner Wald angelegt, dessen Bäume eine Höhe von etwa 20 Metern haben. Sie mussten Bauvorhaben der Umgebung weichen, wurden mit Wurzeln ausgegraben und hier wieder gepflanzt. Das darunterliegende Geschoss dient als überdimensionaler Kübel für die Baumwurzeln.  Die Decke über dem Wald ist als wasserdurchlässige Membran ausgebildet. Zusätzlich verfügt das Gebäude noch über Blumen- und Dünenfelder. Dazwischen können Ausstellungen und Filmvorführungen organisiert werden. Die Installation funktioniert als kleines Ökosystem mit Wasser- und Energiekreisläufen. Der See auf dem Dach fängt Regenwasser auf, das die Ebene darunter mit Wasser versorgt und die Waldebene mit Nährstoffen anreichert. Anschließend versickert es in der Dünenlandschaft und wird durch die Energie der Windräder wieder nach oben gepumpt. Dem Architektenteam gelingt damit eine Harmonisierung von Technik und Natur. Sie scheinen das unmögliche möglich machen zu wollen. Warum Natur nicht künstlich organisieren? MVRDV durchbricht mit dem Projekt die Grenzen konventioneller Architektur.
Mit dem Entwurf WoZoKo, einem Wohnheim für Senioren in Amsterdam, schaffen die Architekten Luftschösser, der Schwerkraft zum Trotz. Ursprünglich war ein schlanker, hoher Wohnriegel geplant. In der Entwurfsphase zeigte sich, dass statt der geforderten 100 Wohneinheiten lediglich 87 in das geplante Gebäude integriert werden können. Also wurden die übrigen 13 Wohnungen zu Vierereinheiten gepaart und mit Stahlfachwerk an der Fassade installiert. Die etwa 10 Meter tiefen Kuben schweben nun über dem Parkplatz der Wohnanlage. Die Balkone der Wohneinheiten sind unterschiedlich groß dimensioniert und in den verschiedensten Farben ausgeführt. Hier zeigt sich der Leitgedanke Wohnraum in einem möglichst differenzierten Angebot zur Verfügung zu stellen.

Diese breite Auswahl an individuellem Wohnraum wird auch in einem der ersten Projekte mit Namen ‚Berlin Voids‘ zur Verfügung gestellt. Es handelte sich um einen Wettbewerb für junge Architekten und Stadtplaner, welcher von der Stadt Berlin 1991 ausgeschrieben wurde. Das Baugebiet befindet sich in Berlin-Penzlauerberg.  Es wurden viele unterschiedliche Wohnungstypen miteinander zu einem großen orthogonalen Block verschachtelt und geschichtet. Jedes Wohnmodul verfügt über andere Qualitäten. Die differenten, dreidimensionalen Raumvolumen sind puzzleartig zusammenaddiert und wecken Assoziationen zu Tetris. Alle möglichen Varianten sind vertreten und bilden die unterschiedlichsten Raumgefüge.  Insgesamt beherbergt das Gebäude 284 Wohneinheiten. Neben dem Schwerpunkt der vielfältigen Wohnkonzepte wurden aber auch der soziale Aspekt der Begegnung und Kommunikation berücksichtigt. Die Bewohner sollen sich einerseits mit ihrer Immobilie identifizieren können und andererseits sich auch durch Begegnungszonen gesellschaftlich näher kommen.

Neben Arbeiten wie diesen beschäftigt sich MVRDV aber auch wie zuvor erwähnt mit der Publikation von Büchern. Ein besonders bekanntes Werk ist ‚FARMAX‘. FAR ist dabei die Abkürzung für die Wörter Floor, Area, Ratio, was im Zusammenhang als Geschossflächenzahl verstanden wird. MAX steht für eine Maximierung. Der Inhalt befasst sich mit einer Umorientierung der horizontalen Architektur zu einer vertikalen Architektur. Ziel ist die vertikale Verdichtung zwecks Flächengewinnung. Anhand bestimmter Daten über Bevölkerungswachstum, Flächennutzung, Mobilität und Umweltqualität werden Szenarien erstellt und grafisch veranschaulicht.
Mit viel Mut und kreativer Weitsichtigkeit inspirieren die Architekten von MVRDV zu einer Architekturrevolution, die dem Informationszeitalter gerecht werden will indem sie Technologie nutzt, um Natur zu generieren und innovative Lösungen einer evolutionierten Gesellschaft zu finden.
Autorin: Tamara Scheck