Lebbeus Woods – Architekt des Ungebauten. Architektur der Krise

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Das Museum für Architekturzeichnung beleuchtet mit seiner Ausstellung „Lebbeus Woods – ON-line“ seit dem 28.06. und noch bis zum 03.10.2014 das Wirken eines der bedeutendsten Architekturlehrenden unserer Zeit. Lebbeus Woods (1940-2012) bezeichnete sich selbst, ein wenig irreführend, als „experimentellen Architekten“. Das einzige, in etwa vierzig Jahren des Architekturschaffens, realisierte Bauprojekt ist der „Light Pavilion“ (Woods, Kumpush, 2012) im „Sliced Porosity Block“ (Steven Holl Architects, 2012) als Teil der Raffles City Chengdu, China. Architektur entsteht für Woods nicht im realisierten Projekt oder der Entscheidung, es zu bauen und sicherlich nicht in der Konzeption desselben. Architektur entsteht, Woods Ansicht nach, vielmehr in den Skizzen, Zeichnungen und Modellen eines einzelnen Architekten (Woods, 2007). Der Architekt ist eine moralisch handelnde Person, welche aus ethischen Beweggründen heraus mit dem Beginn des Entwurfs soziokulturelle Verantwortung übernimmt (Woods, 2009). Diese Verantwortung fließt in das realisierte Projekt ein und entfaltet ihre Wirkung auf das Leben, Denken und Arbeiten der Menschen. Demnach verbleibt Architektur nicht Teil des Hintergrundgeschehens, sondern partizipiert an den Wirrungen, denen das Leben der Menschen unterworfen ist.

Einer der Schwerpunkte von Woods Architekturlehre liegt darin, diesen Komplex aus Übernahme von soziokultureller Verantwortung und Transport von Bedeutung zu erforschen. Der Architekturzeichnung kommt hierbei eine zentrale Aufgabe zu. Sie soll das ausdrücken, was Worte nicht vermögen. Woods bedient sich dabei komplexer Zeichnungen und Acrylgemälde, die er in allen Maßstabsebenen anordnet. Von satellitenbildartigen Betrachtungen des Gesamtentwurfes bis hin zu Alltagsszenen aus dem Leben der Bewohner erschließt sich so dem Betrachter das Projekt möglichst allumfassend. Von den einzelnen Bildern geht dabei eine tief berührende Lebendigkeit aus. Seien es die dystopischen Stadtbilder von A City, die in ihrer Monumentalität denen von Antonio Sant´Elias Città Nuova gleichkommen, oder den Geomagnetic Flying Machines, die ein von den Winden bestimmtes Leben zwischen den Wolken suggerieren. Insbesondere aus den Bildern des Centricity-Zyklus kann man einen direkten Bezug zum heutigen Architekturschaffen herleiten. Woods Beschäftigung mit komplexer und nicht euklidischer Geometrie sowie den Techniken der Dekonstruktion sind hier evident. Seine Versuche sich, mittels Zeichnngen, iterativ den Grenzgebieten der architektonischen Formgebung anzunähern, fanden ihren Niederschlag im heutigen Architekturschaffen erst innerhalb der letzten fünfzehn Jahre. Getragen durch das Wirken der Vertreter des Parametric Design und die preiswerte oder kostenlose Verbreitung komplexer CAD-fähiger Hard- und Software.

Dem Themenkomplex des zeichnerischen Wirkens des Architekten geht die oben genannte Ausstellung anhand ausgewählter und wenig bekannter Zeichnungen aus dem Nachlass von Lebbeus Woods nach und versucht aufzuzeigen, welche Bedeutung sowohl die Zeichnung als auch das Denken Woods in der heutigen Architekturproduktion hat.

Das Bild von einer wechselhafen, unsteten und unsicheren Welt, das dem des Futuristischen Manifestes sehr ähnlich ist, führte Woods zu der Auseinandersetzung mit den Gemeinsamkeiten von Krieg, Naturkatastrophen und Architektur. Ein Themenkomplex, der bereits im Deich- und Festungsbau des Spätmittelalters angelegt war und der angesichts der aktuellen geopolitischen Situation wieder tiefere Bedeutung erfährt. Seit den frühen 90er Jahren beschäftigte sich Woods damit, wie Menschen mit dem Verlust von Teilen ihrer Stadt umgehen. Im Anschluss an Krieg, Katastrophe oder wirtschaftliche Misere möchten wir das Verlorene möglichst wiederherstellen und alle Spuren der Zerstörung beseitigen.
In seinen Vorschlägen für den Wiederaufbau von Havanna (Kapitalflucht), der Hafenanlagen von San Francisco (Katastrophe) und der Innenstadt von Sarajevo (Krieg) hinterfragt er diese Denkweise und setzt ihr ein eigenes, flexibleres Konzept entgegen: Er möchte etwas völlig Neues errichten und dazu die alten, beschädigten und aufgegebenen Überreste verwenden (Woods, 1997). Diese Bricolage des Vergänglichen generiert ein Narbengewebe, welches nicht dauerhaft und somit nicht teuer sein muss. Es ändert und wandelt sich stetig, wird neuen Bedürfnissen angepasst, assimiliert oder erweitert und stößt damit einen Prozess der Umwandlung des gesamten städtischen Gefüges an, der ablesbar bleibt. Diese Radical Reconstruction gehört zu Woods bedeutendsten Überlegungen. Radical Reconstruction entsteht aus der Annahme, Architektur und Krieg seien einander ähnlich. Nach Clausewitz ist Krieg ein Akt der Gewalt mit dem das Gegenüber zur Erfüllung des eignen Willens gezwungen wird (Clausewitz, 1832). Woods sieht Architektur als einen unumkehrbaren Akt, der ebenso Tatsachen im Sinne des Agierenden schafft. Laut Woods ist Architektur Zerstörung: Zerstörung von Möglichkeiten im Entwurfsprozess. Zerstörung eines bestehenden Raumes. Zerstörung von Ressourcen. Das entstehende Werk macht diese Zerstörung in den Augen der Schaffenden hinnehmbar, kann aber die vollzogene Gewaltausübung nicht negieren. Der architektonische Schaffensprozess gleicht dem militärischen Observe-Orient-Decide-Act-Zyklus. Die unterstützenden logistischen Prozesse in Bauwesen und Projektmanagement sind direkt denen der Kriegsführung entnommen, zum Beispiel der Gantt- oder Balkenplan.

Sowohl im Bauprozess als auch im Krieg übernehmen einzelne Akteure unmittelbare, tiefgreifende und langanhaltende Verantwortung für Umwelt, Leben und Ressourcen. Ein Prozess der, ehtisch verantwortungsbewusst angewendet, einen integralen Bestandteil des nachhaltigen Handelns innerhalb einer Gesellschaft darstellen kann. Aus verantwortungsbewusstem lokalen Handeln kann ein Netzwerk entstehen: Eine sozial und wirtschaftlich flexible Stadtstruktur, die dem Erfindungsreichtum, den Anforderungen und Wünschen ihrer Bewohner die notwendigen Räume bietet.

Autor: Paul Mocanu