Architekturreise Paris

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Die Fassade des Museums bildet bunte Kuben aus, deren Inneres als Ausstellungsflächen dienen.

Architekturreise Paris
Zwischen Historie und High-Tech

Paris, das ist der Eiffelturm. Das sind Türme sakraler Zeitzeugen, vom Mittelalter bis zur Gotik. Pompöse Kuppeln, entstanden im Classicisme unter Louis XIV., überragen das Dächermeer. Paris erzählt von Renaissance wie vom Zeitalter des Metalls, von Art Déco wie von High-Tech. Die französische Hauptstadt dokumentiert ein architektonisches Erbe, in dem kein Baustil fehlt. Doch was Paris vor allem reich macht, ist der ständige Wandel. Furchtlos, doch nicht naiv öffnet sich die Stadt neuen Einflüssen. AFA verlässt auf der Architekturreise durch Paris ausgetretene Pfade und entdeckt dabei manch neuen Schatz.

„Eine einzigartige Architektur für einzigartige Objekte“ – das ist es, was Jean Nouvel mit dem Musée du Quai Branly Jacques Chirac (2006) von einer Idee zum zeitgenössischen Monument hat werden lassen. Das Bauwerk ist von Kurven durchzogen und flüssig – eine künstlerische Geste, mit der Brücken zwischen Kulturen gespannt werden. Und so sieht das Museum, das in vier autonomen Gebäuden fast 300.000 Kunstwerke aus Afrika, Asien, Ozeanien und Amerika beherbergt, auch ein bisschen aus: Das Hauptgebäude streckt sich als auf Pilotis aufgestelzter Quader mit fünf Etagen durch den von Gilles Clément hügelig gestalteten Garten. Seine Fassaden bilden bunte Kuben aus, deren Inneres Ausstellungsflächen Raum bieten. Was diese Boxen jedoch füllt, bleibt zunächst im Verborgenen, folgt doch das Konzept der Idee einer Reise: Geschützt durch eine Glasumfriedung bildet der Waldgarten dafür natürliche Umgebung. Als symbolischer Ort verbindet der dort eingebettete Bau die Kontinente durch seinen organischen und geheimnisvollen Charakter. An der Fassade leiten Kunstornamente der australischen Aborigines-Kultur auf die Programmatik hin.

Jean Novels neuer Code

Über eine sanft ansteigende Rampe eröffnet sich der Zugang zur Lobby, über die die Sammlungen zu erreichen sind. Im Inneren dominiert Dunkelheit. Die sanfte Beleuchtung verleiht den Exponaten eine nahezu mystische Ästhetik, kreiert einen würdigen und geborgenen Ort für sie. Dennoch ist das Raumsystem ist luftig, es offenbart sich als langer Gang, ausgekleidet mit Holz in warmen Farben, auf eine Hierarchie wurde bewusst verzichtet. An beiden Enden der dem Verlauf der Seine folgenden, 220 Meter langen Stahlkonstruktion sind in hervorkragenden Galerien temporäre Ausstellungen untergebracht. Ebenso befindet sich unter dem begrünten Dach ein Auditorium mit Theater und Kino. Mit dem Hauptgebäude verbunden sind die drei weiteren Körper durch Wege und Stege. So schließt im Nordwesten der für Verwaltung genutzte, gläsern geschwungene Branly-Trakt an, zwischen ihm und dem Museum findet sich eingeschoben eine Bibliothek mit i180.000 Werken und 700.000 Fotos und Tonaufnahmen. Südlich ist ein Forschungsbau implementiert. Gelungen ist Jean Nouvel ein Ensemble, das Kulturen integriert und Interesse für Andersartigkeit weckt – eine raffinierte Szenografie, die zur sinnlichen Erfahrung wird und mit den Codes traditioneller Museen bricht.

Die Fassade des Museums bildet bunte Kuben aus, deren Inneres als Ausstellungsflächen dienen.
Die vier autonomen Museumsgebäude beherbergen fast 300.000 Kunstwerke aus Afrika, Asien, Ozeanien und Amerika

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5-Sterne-Industriecharme

Seit fast einem Jahr gibt es in der Rue Faidherbe 22-24, im Herzen des elften Arrondissements, ein Art-Déco-Schmuckstück entdecken – und bewohnen. Das Hôtel Paris Bastille Boutet wurde im Jahr 1926 von dem Architekten Achille Champy, Vertreter der École Boulle, als Fabrik eines Edelholzherstellers entworfen. Sein minimalistischer Stil macht es heute nicht nur bei Architekturliebhabern zu einer beliebten Adresse. Bereits von außen macht das Haus keinen Hehl aus seiner historische Eleganz: Große Sprossenfenster gliedern die Fassade regelmäßig. Industriecharme zeigt sein Gesicht durch rohe Materialien: Ablesbar ist die archaische Stahlbetonstruktur an geschossübergreifenden Stützen, die sich

Suite mit Terrasse des Hotel Boutet

in helles Ocker getüncht die Fassade emporziehen. Über der Haupttür setzt sich ein verschnörkeltes schmiedeeisernes Schild markant von Spiegelflächen ab. Eine Sprache, die spricht: Hier geht es um die Liebe zu ornamentalen Details. Die Lisenen sind gestaltet durch zierliche Mosaikfliesen und betonen die Vertikalität des Gebäudes. Ein Keramikfries gliedert wiederum horizontale: Unterhalb der Gesimse erinnern in Gold und Blau Verzierungen an den einstigen Holzhandel. Konkav schwingt das Vordach aus Beton über den Eingang und schenkt mit seinem Mosaik aus goldenen Intarsien und gelben Glasblöcken eine stiltypische Atmosphäre. Auf 795 Quadratmeter befinden sich 80 Zimmer und Suiten sowie ein Spa-Bereich. Im Interieur, dominiert von einer monumentalen Treppe, erwartet den Gast warmes Holz. Das von dem Architekten Vincent Bastie renovierte Haus erstrahlt nun, nach seiner Wiedereröffnung im Frühjahr 2016, in neuem altem Glanz. Durch den Einsatz von Materialien wie Holz, poliertem Metall und Beton konnte der einstige Industriecharakter gewahrt werden, der für einen eindrucksvollen Aufenthalt sorgt. Auf den Spuren von damals wandeln, funktioniert ebenso im wörtlichen Sinn. „Petit ceinture“, kleinen Gürtel, nennen Einheimische die stillgelegte Eisenbahnlinie im 16. Arrondissement, die mitten in der Stadt zu einem Spaziergang ins Grüne einlädt. Bis 1934 umrundeten hier die Züge innerhalb des Boulevards Maréchaux Paris. Heute hat der Rost die doppelgleisigen Anlagen längst für sich eingenommen, wild ranken sich die Pflanzen über die Trasse: Unzählige Arten und Tiere fühlen sich hier wohl, trotzen dem Betondschungel ringsum. Sukzessive sind Abschnitte bei der Porte d’Auteuil geöffnet worden. Längst sind sie zur beliebten Promenade avanciert – ihre Zukunft jedoch bleibt ungewiss.

À propos Kunst

Das Museum für moderne und Gegebwartskunst: Palais de Tokyo im 16. Arrondissement

Seit jeher wird Paris mit künstlerischem Schaffen in Verbindung gebracht. Unzählige Museen eröffnen hier eine nahezu unerschöpfliche Kulturlandschaft, die in Europa Ihresgleichen sucht. Zu ihnen zählt auch der „Palais de Tokyo“. Am rechten Seine-Ufer, im 16. Arrondisment, zeigt das Museum für moderne sowie Gegenwartskunst mit Öffnungszeiten bis Mitternacht ein abwechslungsreiches Programm, das neben der klassischen Trias Malerei, Skulptur und Zeichnung auch Fotografie und Video-Kunst sowie Design, Mode, Literatur und Tanz umfasst. Gebaut für die Internationale Ausstellung von 1937 und kernsaniert in 2012 von dem Architektenbüro Lacaton & Vassal, besteht Komplex aus zwei Hauptflügeln. 22.000 Quadratmeter groß ist nun die Ausstellungsfläche des Palais, dessen Name von der damals benachbarten Avenue de Tokyo (heute Avenue de New York) herrührt. Von außen ist es immer noch die imposante neoklassizistische Form, die die beiden Baukörper auszeichnet und in dem verbindenen Portikus die wohl augenscheinlichsten Anklänge findet. Im Inneren mit beeindruckenden Deckenhöhen und Raumtiefen sowie opulenten Freiflächen folgt das neue architektonische Konzept einem flexiblen Nutzungsplan, um den Ansprüchen des wechselnden Programms gerecht zu werden. Geschaffen werden soll dadurch, so die Architekten, ein Ort für Austausch, Ideen und Vielfalt, dessen öffentliche Dimension klar im Fokus steht. Doch nicht nur gemauerte Räume fungieren in Paris als ‚Container’ für Kunst und Kultur. Bei der „Nuit Blanche“ – an jedem ersten Samstag im Oktober – verwandeln sich Plätze, Parks und Promenaden im städtischen Raum Plätze, Parks und Promenaden in eine Bühne für eine Symbiose aus internationaler und französischer Kunst und Performance. Für Besucher eröffnet dies eine poetische Reise durch die nächtliche Stadt: „Grenzüberschreitung“, so das diesjährige Motto, dem der italienische Roman „Der Traum des Poliphili“ aus dem 15. Jahrhundert zugrunde lag und das sowohl multimedial als auch partizipativ umgesetzt wurde.
Ausschließlich um zeitgenössische Kunst dagegen geht es im Google Cultural Institute, das sich wie das angegliederte „The Lab“ als Plattform für kreativen Austausch versteht. Dass es hier im weitesten Sinne um Kunst und Kultur geht, eröffnet bereits der erste Blick auf das Gebäude: Majestätisch rahmen die drei Flügel des Stadthauses aus dem 19. Jahrhundert einen Innenhof. Hier werden modernste Technologien entwickelt, um Kultur und Ideengut mit digital kompatibel zu machen. Nicht nur geht es dabei um Produkte, sondern auch um die Transformation an sich. „The Art Project“ war dabei das erste: International angelegt suchte es nach Lösungen, Werke junger Künstler – beispielsweise der nach 1989 geborenen Gruppe „89Plus“ – weltweit durch virtuelle Ausstellungen zugänglich zu machen. Ebenso ist die Schaffung eines globalen historischen Archivs zentrales Anliegen des Instituts.

Freilich, ohne die sagenumwobene Romantik geht es in Paris nicht. Dafür lohnt sich ein Diner im „Rosa Bonheur Sur Seine“. Das Hausboot, das traditionell in den Sommermonaten an Bord bittet, liegt am Port des Invalides. Von Plätzen in den vorderen Reihen lässt sich hier ein Sonnenuntergang genießen, wie er im Reiseführer steht. Paris, das bedeutet Perspektivwechsel. Inmitten des bunten kulturellen Geflechts bewegt sich das Leben – in einer Stadt, die Optimismus und Lebensgefühl nicht verliert.